Exzessive Mediennutzung als Unterrichtsthema

Digitale Medien nehmen im Schulalltag und Privatleben von Jugendlichen eine zentrale Rolle ein. Die Bedeutung dieser Medien und der digitalen Kommunikationsmittel für den Alltag aber auch für das Lernen und Arbeiten ist bereits jetzt signifikant.

In unserer mediengeprägten Gesellschaft ist die Entwicklung einer soliden Medienkompetenz, die eine sinn- und maßvolle Mediennutzung möglich macht, aus diesem Grund unerlässlich. In diesem Artikel finden Sie Anregungen für die Gestaltung von speziellen Unterrichtseinheiten oder Projektarbeiten zum Thema exzessive Mediennutzung.

Schritt 1: Jugendliche zur Reflexion über das eigene Nutzungsverhalten anregen

Da die Medienerziehung einen kritischen, bewussten und vor allem gesunden Umgang mit Medien fördern will, sollten auch problematische Aspekte der Mediennutzung thematisiert werden. Die Merkmale, Risiken und Vorbeugung eines exzessiven Nutzungsverhaltens können im Unterricht auf unterschiedliche Weise diskutiert und bearbeitet werden, um Jugendliche zur Reflexion über ihr Nutzungsverhalten anzuregen.

Anhand verschiedener Übungen, kleiner Projektarbeiten und Diskussionsrunden können Sie Ihre Schülerinnen und Schüler dazu anregen, ihr Mediennutzungsverhalten (selbst-)kritisch auszuwerten und zu hinterfragen.

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Viele Bundesländer sammeln Unterrichtsmaterialien rund um die Themen Mediennutzung und Medienkompetenz auf Schulportalen und Bildungsplattformen. Dort finden Sie beispielsweise Arbeitsblätter und Anregungen für Unterrichtseinheiten. Nützliche Materialien bieten unter anderem "Medienfuehrerschein Bayern" oder "Medienkompetenzrahmen NRW".  Eine übergreifende Übersicht von Info- und Unterrichtsmaterialien finden Sie zudem auf dem Deutschen Bildungsserver.

Diskussion: Mediennutzung im Vergleich

Stellen Sie Ihren Schülerinnen und Schüler Auszüge aus der JIM-Studie vor, die das Mediennutzungsverhalten von Jugendlichen zwischen 12 und 19 Jahren auswertet. Ziehen Sie dazu einen bestimmten Untersuchungsgegenstand heran, z. B. tägliche/wöchentliche Beschäftigung mit bestimmten Medien oder die täglichen Medienzeiten. Anschließend kann die Klasse die eigene Mediennutzung im Vergleich zu den Ergebnissen der JIM-Studie bewerten. Um zu verhindern, dass die Antworten durch die Studienauswertung beeinflusst werden, können Sie die Medienzeiten oder die genutzten Medien natürlich auch vorab abfragen und aufschreiben lassen. Sollen die Daten in der Klasse verglichen werden, können die Daten auch anonym gesammelt und ausgewertet werden. Damit kann gewährleistet werden, dass Schülerinnen und Schüler sich wohler fühlen und ehrlicher antworten.

Diskussion: Chancen und Risiken der Mediennutzung

Bei dieser Aufgabe erarbeiten Sie gemeinsam mit Ihrer Klasse ein Tafelbild. Lassen Sie die Schülerinnen und Schüler zunächst zusammentragen, zu welchen Zwecken Sie Medien nutzen. Einige Beispiele:

  • Kommunikation

  • Informationsbeschaffung

  • Unterhaltung

  • Online-Gaming

  • Online-Shopping

Anschließend sammeln die Schülerinnen und Schüler zunächst die Möglichkeiten und Chancen, die Medien bei diesen Aktivitäten bieten. Stellen Sie diese positiven Merkmale den Risiken gegenüber. Ein Beispiel:

Chance: Videospiele können mit spannenden Geschichten und anspruchsvoller Steuerung die Spielenden geistig herausfordern und sogar die Hand-Augen-Koordination verbessern.

Risiko: Wird zu viel Zeit mit Gaming verbracht, können soziale Kontakte und andere Hobbys in der Realität in Vergessenheit geraten, was den Rückzug in eine Fantasiewelt fördert.

Gruppenarbeit: Medienaktivitäten bewerten

Bei dieser Aufgabe teilen Sie die Klasse in mehrere Gruppen auf. Anschließend sollen alle Gruppenmitglieder eine Liste erstellen, welche die für sie wichtigsten Medienaktivitäten zeigt. Die individuellen Listen werden anschließend in der Gruppe besprochen, wobei sich jede Gruppe auf drei Aktivitäten mit Medien einigt, auf die sie nicht verzichten könnten. Die Ergebnisse der verschiedenen Gruppen werden im Anschluss verglichen und ausgewertet.

Einzelarbeit mit anschließender Diskussion: Beschäftigungsideen ohne Medien

Bei dieser Arbeit tragen Sie zunächst eine Reihe von medienbezogenen sowie alternativen Freizeitaktivitäten zusammen, mit denen ein fiktiver Wochenplan gefüllt wird. Diesen können Sie der Klasse z. B. als Handout oder als Präsentation zur Verfügung stellen. Lassen Sie Ihre Schülerinnen und Schüler anschließend frei auswählen und begründen, für welche Aktivität sie sich täglich entscheiden würden. Die Ergebnisse können anschließend in der Klasse diskutiert werden. Dadurch werden die Jugendlichen erneut zur Reflexion über ihr Mediennutzungsverhalten angehalten. Gleichzeitig werden ihnen interessante alternative Ideen zur Freizeitgestaltung präsentiert, die das Interesse an medienfreien Aktivitäten (erneut) wecken können.

Alternativ können Sie Ihren Schülerinnen und Schülern auch den Auftrag geben, eine Woche lang ein Medientagebuch zu führen und ihre tatsächlichen Erfahrungen im Anschluss auszuwerten. Dazu können Sie auch unsere Vorlage für das Medientagebuch mit Fragen zur Selbstreflexion nutzen.

Projektarbeit: eigene Digital-Detox-Challenge entwerfen

Selbst ein zeitlich eingeschränkter Medienverzicht kann es Jugendlichen ermöglichen, ihr eigenes Nutzungsverhalten realistischer und kritischer zu bewerten. Digital Detox kann dabei helfen, problematische Handlungsmuster zu erkennen und eine Veränderung in Gang zu bringen. Wird die medienfreie Zeit als Herausforderung gestaltet, kann das die Motivation verstärken. Bei dieser Projektarbeit können Schülerinnen und Schüler gemeinsam Digital-Detox-Challenges erarbeiten, an die sie sich dann in einem bestimmten Zeitraum halten müssen. Verschiedene Gruppen in der Klasse können sich dabei auch eigenen Herausforderungen stellen. Bei einer abschließenden Auswertung können Schülerinnen und Schüler ihre Erfahrungen vergleichen.

Um die Erarbeitung zu erleichtern, können Sie Ihrer Klasse auch Beispiele und Planungstipps für eine Digital-Detox-Challenge an die Hand geben.

Schritt 2: Jugendliche für eine gesunde Mediennutzung sensibilisieren

Die Thematisierung im Unterricht regt Schülerinnen und Schüler nicht nur zur Reflexion ihrer Mediennutzung an, sie erkennen eventuell auch problematische Verhaltensmuster früher und lernen, welche Alternativen und Hilfsangebote es für sie oder für andere Betroffene gibt. Entwicklung der Medienkompetenz und Suchtprävention sind daher eng miteinander verknüpft.

Medienabhängigkeit erkennen: wichtige Merkmale eines problematischen Nutzungsverhaltens

In der fünften Auflage des Diagnostic and Statistical Manual of Mental Disorders, kurz DSM-5, werden verschiedene Diagnosekriterien für die Internet Gaming Disorder beschrieben, die Sie mit Ihrer Klasse diskutieren können. Zwar beziehen sich diese Abhängigkeitskriterien speziell auf die Videospielnutzung und berücksichtigen dabei nicht andere internetbezogene Störungen – dennoch bieten sie eine gute Grundlage, um Merkmale einer problematischen Mediennutzung mit Ihren Schülerinnen und Schülern zu diskutieren.

Das DSM-5 definiert neun Kriterien, von denen fünf mindestens über einen Zeitraum von 12 Monaten auftreten müssen, um eine Diagnose zu ermöglichen.1

  1. Die Betroffenen beschäftigen sich gedanklich übermäßig stark mit Videospielen.

  2. Können Medien nicht genutzt bzw. konsumiert werden, spüren Betroffene Entzugserscheinungen. Diese können z. B. Gereiztheit, Wut oder andere Stimmungsschwankungen sein.

  3. Eine Toleranzentwicklung setzt ein. Um ein Gefühl der Zufriedenheit zu erreichen, muss die Mediennutzung intensiver und/oder über einen immer längeren Zeitraum erfolgen.

  4. Die Betroffenen haben erfolglose Versuche unternommen, das Spielverhalten unter Kontrolle zu bringen.

  5. Durch die gesteigerte Mediennutzung verlieren Betroffene das Interesse an anderen Hobbys.

  6. Betroffene spielen weiterhin exzessiv, auch wenn sie die negativen Konsequenzen der übersteigerten Videospielnutzung begreifen.

  7. Familienangehörige oder beratende Fachkräfte werden über den Umfang der Videospielnutzung getäuscht.

  8. Die Videospiele werden von Betroffenen genutzt, um negativen Gefühlen zu entfliehen oder sie zu mildern (z. B. Schuldgefühle, Ängstlichkeit).

  9. Das Nutzungsverhalten gefährdet soziale Kontakte, schulische Leistungen oder Karrierechancen.  

Kriterien der Medienabhängigkeit im Unterricht erarbeiten

Um Schülerinnen und Schüler für problematische Verhaltensmuster bei sich selbst sowie bei Freundinnen und Freunden oder in der Familie zu sensibilisieren, können Sie gemeinsam die Merkmale erarbeiten.

Folgende Herangehensweisen sind denkbar:

  • Konfrontieren Sie Ihre Klasse mit Fallbeispielen für unterschiedliche Nutzungsverhalten. Dazu können Sie auch überspitzte oder übertriebene Situationen darstellen, an denen charakteristische Merkmale der gesteigerten Mediennutzung sichtbar werden. Lassen Sie die Schülerinnen und Schüler anschließend darüber diskutieren, welche Verhaltensmuster sie problematisch fanden. Erarbeiten Sie daraus anschließend gemeinsam in einem Tafelbild die Kriterien für "Abhängigkeit".

  • Nennen Sie Ihren Schülerinnen und Schülern die wichtigsten Merkmale eines bestehenden Suchtverhaltens. Diskutieren Sie gemeinsam die Bedeutung der einzelnen Kriterien und lassen Sie die Klasse anschließend die Definitionen auf den Bereich der Mediennutzung anwenden. In welchen Situationen lassen sich problematische Verhaltensmuster erkennen?

Von beiden Ausgangssituationen aus können Sie dann die Überleitung zum Mediennutzungsverhalten Ihrer Schülerinnen und Schüler finden. Ist die Definition von Abhängigkeit und von einem problematischen Nutzungsverhalten allen deutlich geworden und sind die Abgrenzungen klarer, wird auch eine Reflexion über die eigene Mediennutzung möglich. Die aktive Erarbeitung der Diagnosekriterien macht Medienabhängigkeit als Unterrichtsthema außerdem greifbarer und realitätsnäher.

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Werden Jugendliche mit dem Thema exzessive Mediennutzung konfrontiert, können sie mitunter ablehnend oder besorgt reagieren. Um zu verhindern, dass sich Schülerinnen und Schüler für ihr Mediennutzungsverhalten "an den Pranger gestellt" oder angegriffen fühlen, sollten Sie zur Diskussion eines Suchtverhaltens eher auf ausgedachte oder überspitzte Fallbeispiele zurückgreifen. Um aufkommende Sorgen oder Unmut zu verhindern, ist auch eine Diskussion darüber lohnenswert, dass intensive Nutzungsphasen bei Heranwachsenden normal sind, nicht sofort auf eine Abhängigkeit hinweisen und auch nicht verwerflich sind.

Quelle:

[1] Wartberg, L. et al. (2017): Internet Gaming Disorder. https://www.aerzteblatt.de/archiv/193541/Internet-Gaming-Disorder. aerzteblatt.de (Abruf: 01.02.2023).